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Bilanz nach genau 180 Tagen ontour

Ein ganzes halbes Jahr, sechs Monate, 180 Tage … es fühlt sich überhaupt nicht so lang an und erst wenn wir uns ganz bewusst vor Augen halten, was wir zwischenzeitlich alles gesehen, erlebt und auf den vielen Kilometern im wahrsten Sinn ‚erfahren‘ haben, dann wird uns bewusst, dass wir tatsächlich schon so lange unterwegs sind.

Nach Loreto und Todos Santos stehen wir wieder an einem traumhaften einsamen Strand und es ist ein wenig unwirklich, denn während daheim die Punschstände und der Weihnachtstrubel im vollen Gang sind, machen wir ewige Strandspaziergänge, lachen uns über Lucky krumm, weil er seit Tagen verzweifelt versucht, eine Krabbe zu erwischen und manchmal haben wir fast ein bissi Angst, dass uns jemand aufweckt und sagt, das Ganze war nur ein Traum. An solchen Strandtagen haben wir viel Zeit … auch Zeit zum Nachzudenken, was die Reise so mit uns macht und um ein Resümee nach dem halben Jahr zu ziehen:
Keine Frage, wir sind immer noch sehr glücklich mit unserer Entscheidung und unserem Leben, aber wir sind auch extrem dankbar – dankbar all denen, die uns bei unserer Reise unterstützen – sei es gedanklich, weil sie jeden Tag an uns denken, uns quasi begleiten und uns dabei das Beste wünschen oder sei es tatkräftig, weil sie sich um unserer Wohnung kümmern, uns bei Problemen mit der Homepage helfen und und und. Kurzum ein ganz großes Dankeschön an unserer Familie und an unsere Freunde – es ist so toll, Euch im Rücken zu haben! Zudem sind wir auch wirklich glücklich mit unserem ‚Material‘: Wir haben für unsere Bedürfnisse das für uns perfekte Fahrzeug – Mr. Benz ist groß genug, um uns einen gewissen Komfort und auch Schutz zu bieten, aber er ist noch klein genug, um uns über schmale Straßen und um enge Kurven zu bringen. Außerdem merken wir jetzt, dass wir echt gut ausgestattet sind: wir haben zum Beispiel Dank lieber Freunde eine tolle Reiseapotheke, ein gutes Lager an Ersatzteilen, die richtigen Klamotten und das passende Schuhwerk (ok ok ok – ich gebe es zu – ICH habe vielleicht von beidem ein klitzekleines Bisschen zu viel mit), das richtige Kochgeschirr etc. dabei … es geht uns nichts ab. Apropos ‚abgehen‘: wir dachten, uns wird auf Reisen wahnsinnig viel abgehen … und? Jaaa, es ist schon ein running Gag, es ist nach wie vor der Käse! Aber ansonsten ist es lustigerweise eher so, dass wir nach dem halben Jahr eher Dinge viel mehr wertschätzen als etwas zu vermissen. Trinkwasser ist hierfür ein gutes Beispiel: daheim ist Wasser in rauen Mengen selbstverständlich verfügbar, aber unterwegs ist Wasser die kritischste Größe und seit wir in Mexiko sind, haben wir den Wasserstand im Tank noch viel mehr im Auge, denn es ist hier wesentlich komplizierter, an wertvolle 400 Liter Trinkwasser zu kommen. Zum Vergleich und zum Thema ‚Wertschätzung’: wir konsumieren sehr bewusst und sparsam und verbrauchen zu zweit (!) am Tag ca. 35 Liter Wasser zum Trinken, Kochen, Abspülen und Duschen – daheim verbraucht ein ‚0815-Piesler’ täglich etwa 35 Liter Trinkwasser allein nur für die Toilettenspülung und wenn dieser durchschnittliche Piesler auch noch so viel Tee trinkt wie ich, na dann Grüß Gott Herr Kompott … der arme Teufel käme mit unserem Wassertank nicht besonders weit oder er müsste ungeduscht ins Bett! Auch andere Ressourcen wie etwa Strom bekommen einen ganz anderen Stellenwert wenn sie nicht unendlich verfügbar sind, da überlegt man schon, wie lange man föhnt oder lässt das Licht nicht unnötig brennen. All das hört sich wahrscheinlich ‚einengender’ an als es tatsächlich ist, man gewöhnt sich daran und wir empfinden es nicht als belastend sondern eher als gesund, wieder einen bewussten Umgang zu leben. Apropos ‚einengend’: wir hatten vor der Reise ehrlich gesagt bissi die Befürchtung, dass wir mit der Zeit auf dem engen Raum einen Lagerkoller bekommen könnten … dem ist aber ganz und gar nicht so und das obwohl wir echt viel Zeit im Fahrzeug verbringen. Aber erstens fühlen wir uns beide im Mr. Benz nicht eingesperrt, was vermutlich an der Lackierung des Inneren liegt, die den Raum wesentlich größer erscheinen lässt als er tatsächlich ist. Zweitens funktioniert es bei uns super gut, dass wir zwar gemeinsam im Fahrzeug sind, aber dass jeder getrennt für sich sein Ding machen kann und man sich somit quasi ‚aus dem Weg geht’. Der eine liegt auf dem Bett und liest, der andere sitzt am Tisch und beschäftigt sich mit etwas anderem … unglaublich, aber es geht wirklich – auf heißen 8 m2 wie in zwei getrennten Räumen.

Es ist überhaupt interessant zu beobachten, was die Reise so mit einem macht und was alles plötzlich möglich wird: während es früher (vor allem für mich) sehr nervenaufreibend war in der Früh nicht zu wissen, wo ich die nächste Nacht verbringen werde, ist dies zwischenzeitlich gar kein Thema mehr, denn ich weiß ja, wo ich schlafe – nämlich in meinem Bettchen im Mr. Benz, die Frage ist nur, wo er parkt. Wir sind auch viel entspannter im Hinblick auf die nächtliche Geräuschkulisse: wir stehen ja nicht immer idyllisch mit Grillenzirpen um uns herum und so etwas wie eine Lärmisolierung haben wir nicht. Aber irgendwie gewöhnt man sich auch daran und wir müssen in der Früh oft selbst lachen, wie tief und fest wir geschlafen haben und das an einem Ort, an dem wir früher sicherlich kein Auge zugemacht hätten.
Schon spannend – vieles, das bislang unbekannt war und (wieder vor allem mir) etwas Angst gemacht hat, wird total vertraut. Vieles, das fremd war, wird plötzlich völlig normal – ständig wo anders zu sein, der Alltag auf der Straße etc. Auf der anderen Seite merken wir auch, dass bislang Vertrautes etwas fremd wird, dass wir mit manchen Themen nicht mehr viel anfangen können, weil wir halt momentan ein anderes Leben führen … bleibt nur zu hoffen, dass wir mit der Zeit nicht allzu komisch werden. Aber nur keine Sorge, denn wie immer gilt ALLES WIRD GUT!

 

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