Wir sind seit drei Wochen in Chile und ganz gemäß unserer Tradition hatten wir wieder einen sehr ‚spannenden‘ Start. Zunächst die Einreise nach Chile – bei vielen Reisenden ist sie gefürchtet, da die Kontrollen sehr streng sind, das Fahrzeug wird oft komplett gefilzt und ein Hund mit an Bord macht die Sache nicht wirklich leichter. Aber was soll’s, Augen zu und durch!
Der Grenzübergang liegt auf einem Bergpass auf 2500 Meter Höhe und nachdem man uns weder bei den LKWs noch bei den Bussen einreisen lassen wollte, sind wir sind wir mit unseren 9 Tonnen notgedrungen durch einen kleinen Tunnel in die Abfertigungshalle für PKWs gefahren. Gott sei Dank qualmt und stinkt Mr. Benz bei der Höhe und den eisigen Temperaturen echt furchtbar und so wurde für uns sehr rasch ein Plätzchen freigemacht, damit wir ja den Motor abstellen (zugegeben, gleichzeitig wurde auch schnell die Entlüftungsanlage eingeschaltet). Die Formalitäten für uns und Mr. Benz waren schnell erledigt und dann kam die gefürchtete Fahrzeuginspektion. Unsere Strategie ‚ich zeig Dir was ich hab und Du sagst, was erlaubt ist’ ging voll auf – bei der ‚geführten‘ Besichtigung der Kabine bekamen die drei Zollbeamten nur ‚Erlaubtes‘ zu Gesicht und nahmen uns lediglich fünf Chili Schoten und eine Packung Rohschinken weg. Nach nicht mal einer Stunde waren wir fertig.
Über 29 enge Serpentinen und einen wunderschönen Bergpass ging es dann nach San Felipe, wo wir den Anfangskram wie Bargeld, SIM Karten und Einkäufe erledigen wollten. Allerdings hat uns unser liebes Navigationsgerät mitten durch den super engen sowie von Ständen verbarrikadieren Sonntagsmarkt geführt und plötzlich sahen wir, wie die Menschen hektisch ihre Arme in die Höhe rissen. Ich mein, dass uns ständig zugewunken wird, das sind wir ja gewohnt, aber diese Gestik hatte eine Nuance zu viel Verzweiflung und Entsetzen in sich und so blieben wir etwas verdutzt stehen … Gott sei Dank und vor allem noch rechtzeitig, denn einen halben Meter weiter und wir hätten ein tiefhängendes Stromkabel abgerissen und dadurch einen Straßenzug im Dunkeln sitzen sowie alle Tiefkühlpizzas auftauen lassen. Aber statt auf uns böse zu sein haben sich zwei Männer aus den Nachbarhäusern Besenstiele geholt, das Kabel hochgehoben und uns viel Glück für die weitere Reise gewünscht … DAS ist Südamerika! Naja, das Glück wurde uns auch gleich paar Kilometer weiter zuteil, denn wir entdeckten bei einem Park einen tollen Übernachtungsplatz und übersahen vor lauter Freude beim Rückwärtsrangieren einen Strommasten aus Beton … ein heftiger Rumpler, eine kleine Beule am Fahrradträger (nein, der blöde Masten hatte genau nix!) und das war’s. Am Abend gab es zur Beruhigung dann ein spannendes Match … es traten zwei sehr edle Flaschengeister an… Argentinien gegen Chile, beide spielten in tief Rot und auf hohem Niveau, so dass das Spiel unentschieden endete.
Von San Felipe sind wir nach Villa Baviera (ehemals Colonia Dignidad) weitergefahren – ein wunderschöner Ort mit einer sehr dunklen Vergangenheit: auf dem 30 km2 großem Areal haben an die 300 Menschen 40 Jahre lang in einem schrecklichen System aus psychischer und physischer Gewalt gelebt. Die christliche Sekte wurde von dem pädophilen Paul Schäfer angeführt, dieser floh 1998 und es kam ‚zur großen ‚Wende‘ – also zum Ende des Systems und zur Öffnung. Heute ist das Areal zugänglich und hat neben einem Hotelbetrieb auch eine sehr feine Metzgerei (wir haben natürlich bei Käsekrainern, Bratwürsten, Sauerkraut etc. voll zugeschlagen), eine Bäckerei, eine Wäscherei und eine Werkstatt mit sehr guten Mechanikern. Wir standen vier Tage lang auf einer Wiese inmitten von blühenden Apfelbäumen und hatten das Glück, sehr viele Gespräche und Spaziergänge mit den ehemaligen ‚Colonias‘ führen zu können. Es ist schwer, den Aufenthalt in Worte zu fassen … wir waren von den Geschichten schockiert und zeitgleich sind wir voller Bewunderung, wie versöhnlich man dort mit der Vergangenheit und auch miteinander umgeht. Das System hat in den Menschen tiefe Spuren bzw. Schäden hinterlassen, aber es ist menschlich ganz groß, wie aufgeschlossen sie sich zeigen und wie positiv sie in die Zukunft blicken statt mit der Vergangenheit zu hadern.
Weiter ging es durch eine wunderschöne Frühlingslandschaft nach Villarrica. Dort fanden wir direkt am See einen tollen Stellplatz genau vis à vis des Vulkans Villarrica. Der Bursche ist der aktivste Vulkan in Chile und brach zuletzt im Januar 2019 aus. Nicht ganz so aktiv war unser Laderegler für die Solaranlage und wir haben plötzlich trotz strahlendem Sonnenschein nur noch wenig Strom geladen. Gut, also Zwangspause einlegen (bei meiner ausgewachsenen Verkühlung ohnehin nicht schlecht), beim Solartechniker um die Ecke den Regler bestellen und auf die Lieferung aus Santiago warten. Allerdings sind zeitgleich mit der Bestellung die Unruhen in Chile ausgebrochen und statt der versprochenen Lieferung gab es jeden Tag Proteste im Städtchen. Teilweise wurde randaliert, Fensterscheiben zerschlagen und die Polizei musste die Leute sogar mit Warnschüssen daran hindern, den Supermarkt zu plündern. Der Solar-Futzi hat uns erst mit Ausreden, dann einer Vogel Strauß Politik, später mit vertröstenden Whatsapp Nachrichten und schließlich mit kreativen Unwahrheiten bei Laune gehalten, aber nach sechs Tagen war Schluss mit lustig und wir wollten unser Geld zurück. Mit unserem Ansinnen stießen wir bei dem Solar Menschen allerdings erst mal auf taube Ohren. Dass es kein schlechter Scherz sondern wirklich unser Ernst ist, verstand es erst, als die Polizei bei ihm im Laden stand und er ließ sich dann doch ‚überzeugen‘, den Betrag herauszurücken. Aber wir hatten mal wieder Glück, denn ein Großhändler in der Provinz hatte unseren Regler lagernd und so habe ich mich zwei Stunden in den Bus gesetzt, das gute Teil besorgt und alles ist wieder gut.
Wir sind gerade auf dem Circuito de Siete Lagos (die Strasse der sieben Seen) unterwegs, ein Traum und ein See ist wirklich schöner als der andere. Dennoch werden wir bald nach Argentinien ausreisen, denn das abendliche Trommeln der Proteste ist auf Dauer dann doch etwas unangenehm. Zudem blockieren die Demonstranten momentan viele Straßen und es kostet wirklich Nerven , der ‚Prozession‘ stundenlang mit 3 km/h hinterherzufahren zu müssen, da es keine Ausweichmöglichkeit gibt. Weiter im Süden werden dann wir wieder nach Chile einreisen, um Weihnachten in Ushuaia zu verbringen und in der Zwischenzeit werden sich die Unruhen ja hoffentlich wieder beruhigt haben. Aber bis dahin ist noch viel Zeit und wir sind wie immer der Überzeugung ALLES WIRD GUT!
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